Die Sieben Todsünden:
Warum Neid die am weitesten verbreitete Charakterschwäche ist Wehe wenn die Schwester ein größeres Stück Kuchen bekommt! Eltern von mindestens zwei Sprösslingen wissen genau, wie streng Kinderaugen schauen können. Da geht es um Millimeter. Der andere darf auf keinen Fall mehr bekommen als ich, so das Motto, dem auch viele im Erwachsenenalter treu bleiben. Wobei ihnen allerdings die schmerzhafte Erfahrung nicht erspart bleibt, das andere sehr wohl von Fortuna mehr oder weniger bedacht wurden, als sie selbst. Und genau dann grummelt und brummelt es in einem und es taucht plötzlich das grünäugige Monster auf, das Shakespeare einst umschrieb.
Der Glücklichere soll alles verlieren
Man neidet dem Nachbarn seinen Porsche, der Kollegin den liebevollen Mann und dem Kumpel, dass er immer die fescheren Mädels bekommt. Mansche Frauen würden gern ihr Leben mit Angelina Jolie tauschen, mancher Mann das seine mit Sebastian Vettel. Läuft es aber für die, auf die man seine neidischen Blicke gerichtet hat, mal nicht so rund, dann ist die Schadenfreunde groß. Der Neider möchte besitzen, was der andere Besitzt und wenn es nicht zu erlangen ist, so soll jener doch verlieren was er hat. Zugrunde gehen soll er doch an seinem Wohlstand, ersticken soll er in seinem Geld, analysiert der Soziologe Wolfgang Sofsky. Und während der Geiz, ebenso im Katalog der sieben Todsünden zu finden, noch eine Eigenschaft ist, auf die manch einer stolz ist, trägt wohl kaum einer seine Neidgefühle triumphierend vor sich her. Neid ist die einzige Todsünde, die keinen Spaß macht, drückt es der Essayist Joseph Epstein aus. Und der Volksmund führt die destruktive Seite des Neides eindeutig vor Augen, wenn es etwa vor „Neid zerfressen“ und Neid ist wie ein böses Geschwür heißt. Ohnehin will man es selbst nie gewesen sein. Neidisch sind immer nur die anderen, so der Titel eines Buches von Rolf Haubl, Professor für Soziologie und Sozialpsychologie an der Universität Frankfurt.
Um nicht zugeben zu müssen, das Neid mit im Spiel ist, sind rhetorische Manöver beliebt, in denen das Gegenteil behauptet wird.“ Ich möchte doch überhaupt nicht haben was der andere hat“.“ Mit der nachdrücklichen Betonung: Bloß nicht. Auf gar keinen Fall“. Populär ist auch, sich andere an die Seite zu holen und gemeinsam das schlechtzureden, was man selbst gerne hätte, aber es sich selbst nicht einzugestehen traut. Lästern und Tratschen sollen das Ansehen des Beneideten schmälern, seinen Wert mindern, seinen Erfolg entwerten, stellst Sofsky fest.
Der Tratsch vereint die Neider
Und so ganz nebenbei, sorgt genau das für sozialen Zündstoff. „Manchmal hält allein die böse Genugtuung die Neider zusammen“, so der Sozialloge weiter. Dass Gespräche dieser Art alles andere als Seltenheitswert haben, fanden US-Psychologen heraus. Etwa 60% aller Gespräche unter Erwachsenen drehen sich demnach um abwesende Personen. Und meist gehören dann, motiviert von Neid, Sticheleien dazu. Neben der Empörung beschreibt Soziologe Haubl zwei weitere Reaktionen im Umgang mit dem eigenen Neid. Depression und Ehrgeiz. Während der Depressive sich überhaupt nicht in der Lage sieht, das zu erreichen, was dem Beneideten geglückt ist, und Minderwertigkeitsgefühle obsiegen, werden andere, erst recht angespornt. Der Neid wird zur Triebkraft, dem Bewunderten nachzueifern. Der Blick in die Menschheitsgeschichte zeigt, das Neid durchaus eine evolutionäre Funktion hat. Seit jeher sei es nicht nur darum gegangen, viel zu besitzen, sondern darum, mehr als die anderen zu haben, um sich dadurch auch den besten Partner für die Fortpflanzung zu sichern oder die Vorherrschaft in einer Gruppe. Und selbst dort kam Neid mit ins Spiel, wo es ums nackte Überleben ging. Man denke an den sog. Futterneid, der seinen Ursprung in der Angst hat, zu wenig zu essen zu bekommen.
Frauen sind traurig, Männer wütend
Er oder ich, ich oder sie. Es ist quasi in uns einprogrammiert, Vergleiche anzustellen. “ Wir sind Wesen, die im permanenten Vergleich leben, bestätigt auch Neidforscher Ulf Lukan. Und genau dieses Vergleichen mache uns dafür verantwortlich, neidisch zu sein. Doch was genau geht eigentlich in uns vor? Experte Haubl erklärt: Jeder hat eine Idealvorstellung von sich selbst. Was uns zum idealen Selbst fehlt, erleben wir als Mangel. Hat nun ein anderer Mensch etwas von dem, wonach wir uns sehnen, dann weck das Neid in uns. Haubl weiter: „Neid ist eine komplexe Emotion. Sie enthält Wut, Ärger und Traurigkeit“. Welches der Gefühle im Vordergrund stehe, das hängt auch vom Geschlecht ab, so Haubl über das Ergebnis seiner deutschlandweiten Befragung von 2500 Frauen und Männern. Deutlich häufiger hätten demnach Frauen angegeben, traurig zu sein, wenn andere das besäßen, was sie selbst gerne hätten. Männer hingegen ärgern sich lieber schwarz, weiß Haubl. Unabhängig vom Geschlecht gäbe es zudem die empört rechtenden Neider, die ihre giftigen Gefühle hinter großer Moral verstecken würden, etwa hinter der Forderung, nach mehr Gerechtigkeit. Aktuelles Beispiel sei die Debatte um die Reichensteuer. Privilegierte der Gesellschaft tendieren dazu, das Begehren Unterprivilegierter als Neid darzustellen, während Unterprivilegierte ihr Begehren als Forderung nach mehr Gerechtigkeit einstufen. Ob Neid auch, wie es oft heißt, krank macht, die These ist empirisch nicht eindeutig belastbar. Haubl rät ohnehin dazu, sich auf die produktive Seite des Neides zu konzentrieren. “ Man sollte Neid nicht unterdrücken, sondern ihn zulassen. Und versuchen, was er über einen selbst aussagt. Wenn man sich klar mache, worauf man selbst neidisch ist, werde einem deutlich, was einem im Leben wirklich viel bedeutet. Es lohne sich auch, das Objekt des Neides genauer unter die Lupe zu nehmen. Kann ich meine Zufriedenheit auch einen anderen Weg erlangen? Haubl empfiehlt auch einen Perspektivwechsel: Man sollte sich vor Augen halten, das sich der Nachbar zwar viel leisten kann, aber dafür rund um die Uhr schuftet. Und sich dann die Frage stellen, ob man bereit ist, das genau so zu machen. Und statt in einen Vergleich zu gehen, der einen doch nur klein dastehen lasse, sollte man sich seiner Stärken bewusst werden. Denn das sei der beste Schutz gegen Neid. Ein stabiles Selbstbewusstsein. Möglich, das auch das bald Neider auf den Plan ruft. Aber bevor man sich darüber grämt, hält man sich besser an Wilhelm Busch, der einst behauptete: Neid ist die aufrichtigste Form der Anerkennung.
Artikel aus dem Münchner Merkur
geschrieben von Christine Waldhauser-Künlen